Hinter den Kulissen

Eine Ausstellung mit Fotografien von Uwe Brodmann über die esistso!company
Produktionsjahr 2014

Seit einigen Jahren begleitet der Braunschweiger Fotograf Uwe Brodmann die esistso!company der Lebenshilfe Braunschweig bei der Arbeit in den Werkstätten, im privaten Umfeld und bei den Theaterproben und -aufführungen. Die neuesten Bilder stammen von den Proben des Tanztheaterprojekts »Lichtblick«.

esistso!company: Kadir Akyüz, Stefan Bogdoll, Gabriele Daskiewicz, Stefan Heims, Sebastian Koenders, Dorota Ostojski, Petra Pressel, Linda Rohloff, Ugur Salcan, Kathrin Schrader, David Somrei und Gerda Raudonikis.

Einführung Stephanie Borrmann, M.A.Kunsthistorikerin

Sehr geehrter Herr Springmann, liebe Gerda, lieber Uwe,
sehr geehrte Damen und Herren,

sind Sie auch mit großer Spannung in die Ausstellung gekommen? Schließlich gewährt man uns einen Blick hinter die Kulissen der esistso!campany – wir bekommen zu sehen, was vorher im Verborgenen, was der Öffentlichkeit verschlossen war und nun wird das Bühnenbild freigegeben.

Der Fotograf und Künstler Uwe Brodmann lädt mit seinen Panoramafotografien auf eine Bühne ein. Seit Jahren begleitet er die esistso!campany der Lebenshilfe Braunschweig bei ihrer Arbeit – nicht nur im Theater, vor und hinter den Kulissen, sondern auch bei ihrer eigentlichen Arbeit in den Werkstätten der Lebenshilfe.

Uwe Brodmann nutzt das Format des Panoramas, um Geschichten von Menschen und Räumen zu erzählen. Die Mitglieder der esistso!campany sind es gewohnt auf einer Bühne zu stehen und dem Publikum eine Geschichte durch Tanz, Bewegung und Ausdruck zu erzählen. Dies tun sie nun auch noch auf einer anderen Ebene. Sie werden zu Protagonisten auf der Bühne des Fotografen.

Uwe Brodmann inszeniert mit dem Anspruch jenseits von Zeit und Raum eine Bühne, auf der er sich mit den Darstellern für den Bruchteil einer Sekunde trifft und dies wird dann im Bild festgehalten. Für Uwe Brodmann zählt die Aussagekraft des Portraitierten und seine Situation, die er mit der Fotografie dokumentiert.

Alle Mitglieder der esistso!company sehen sie bei den Proben für das neue Tanztheaterstück »Lichtblick« und an ihren Arbeitsplätzen in den Werkstätten bei der Lebenshilfe. Sie haben sich für eine gemeinsame Aufnahme um den Altar der Andreaskirche versammelt, in der Anfang Mai das, von der Choreographin und Regisseurin Gerda Raudonikis inszenierte Stück Lichtblick aufgeführt wird.

Gerda Raudonikis zeigt Linda Rohloff den »Betrachter«, durch den Fingerzeig nimmt sie Kontakt mit uns auf, daneben stehen Sebastian Koenders, der in dem Stück eine Hauptrolle hat, Kathrin Schrader, Stefan Heims und Kadir Akyüz, der ebenfalls eine Hauptrolle tanzt. Vor dem Altar steht Dorota Ostojski, die Gruppenbetreuerin der esistso!company bei der Lebenshilfe Braunschweig. Es folgen Stefan Bogdoll, David Somrei, Gabriele Daskiewicz und Ugur Salcan, der die Runde abschließt.

Eine Arbeit von Brodmann zeigt Ugur und Kadir in ihren T-Shirts der esistso!company auf der Bühne im LOT-Theater. Die Haltung drückt Zufriedenheit und Sicherheit aus. Sie sind stolz in der esistso!company mitzuwirken. Ugur und Kadir sind gemeinsam zur Schule gegangen. Nach ihrem Abschluss haben sie sich aus den Augen verloren. Als Ugur hörte, dass sein Schulfreund in den Werkstätten der Lebenshilfe arbeitet hat er sich dorthin versetzen lassen. Die Freude der beiden sich wiederzusehen war groß. Ugur arbeitet heute noch in der Montage, während Kadir nun beim Schulcatering der Lebenshilfe arbeitet. Dafür haben die beiden ein gemeinsames Hobby gefunden, sie tanzen beide bei der esistso!company.

Brodmann hat Kadir vor einem Tisch stehend portraitiert. Er ist beim Schulcatering mitverantwortlich dafür, dass Grundschüler ein gesundes Frühstück bekommen, dazu gehören ein Schulbrot, ein Apfel und ein Getränk. Die wichtigste, die gesunde Beilage, den Apfel hat Kadir schon einmal vor sich auf den Tisch gelegt. Das Schulbrot wird frisch gemacht, die Brettchen liegen schon mit den Messern bereit. Wenn die Brote geschmiert sind, wird alles für die Verteilung an die Grundschulen verpackt.

Die Portraitfotografie entwickelte sich bereits im 19. Jahrhundert und inzwischen ist sie ein klassisches Genre der Fotografie. Seit ihrer Entdeckung konkurriert die Portraitfotografie mit den Werken der Malerei. Brodmanns Portraits sind getragen von einem sehr klaren Konzept, nichts an seinen Bildern ist beliebig, dies zeigt schon das gewählte Format. Wenn Sie sich klassische Portraits in Erinnerung rufen, so sind dies meist Hochformate, sprich die Vertikale ist betont, der Portraitierte schaut den Betrachter bzw. den Fotografen oder Maler an.

Uwe Brodmann hat schon mit dem Format seiner Portraits unsere Vorstellungen und Sehgewohnheiten gebrochen. Seine Portraits sind Panoramen, sie sind horizontal, das klassische Format für Landschaftsbilder. Allerdings bedeutet ein Panorama auch Übersicht, denn normalerweise kennen wir es als ein Ausblick gewährendes Landschaftsbild. Panoramen erfassen mehr und geben uns damit einen Überblick. Sie erzählen kleine Geschichten, da man auf ihnen so viel von der Umgebung sieht.

Ein Portrait von Brodmann zeigt Linda Rohloff bei ihrer Arbeit in der Montage. Ernst schaut sie auf dem Bild. Wenn sie allerdings von der esistso!campany und ihren Kollegen in der Gruppe spricht dann blüht die energie- und temperamentvolle Linda auf. Beim Tanzen wird Linda ganz groß. Ein Bild zeigt sie mit David, Kadir und Kathrin. Linda strahlt, man hat das Gefühl sie ist noch voller Energie. Sicherlich ist die Probe gut gelaufen. Dorota Ostojski hat ihre Hände auf die Schultern von Linda gelegt. Vielleicht färbt Lindas Energie ab?

David Somrei arbeitet ebenfalls in der Montage. Auf einem Bild sieht man ihn bei den Proben in der Andreaskirche in Stoffbahnen gewickelt auf dem Boden hockend. David behält den Überblick, der Kopf bleibt frei, ist er vielleicht ein Suchender.

Uwe Brodmann hat das Format des Panoramas im Jahr 1972 für sich entdeckt. Er begann Landschaftsaufnahmen mit einer Kamera russischen Fabrikats zu machen, die sich Horizont nennt. Seit den 1980er Jahren arbeitete er dann mit einem japanischen Fabrikat der Widelux, sie hatte die Funktion der Fokussierung, wodurch auch Porträtaufnahmen möglich waren, bei denen das Umfeld mit erfasst wurde. Seit 2008 ist die Entwicklung der digitalen Technologie so weit, dass auch professionelle Fotografen sich zu ihr hin und von der bisher vorherrschenden analogen Fotografie abwenden. Seitdem arbeitet Uwe Brodmann auch bei den Panoramen mit sogenannten Shift – Objektiven mit verschiedenen Brennweiten, so dass aus mehreren Aufnahmen ein Bild entsteht. Seit dieser Zeit sind verschiedene Serien mit Menschen entstanden.

Der Fotograf und Künstler Uwe Brodmann ist hier – in der Region – kein Unbekannter. Seine Werke sind in einigen öffentlichen Sammlungen vertreten, z.B. im Herzog Anton Ulrich Museum in Braunschweig, aber auch in Berlin und der Schweiz, um nur einige zu nennen. Für die Städtischen Kunstsammlungen in Salzgitter haben wir auch drei Porträtarbeiten aus Serie Migration – Integration erworben. Für diese Reihe hat Uwe Brodmann Menschen mit Migrationshintergrund sowohl an ihrem Arbeitsplatz als auch zu Hause, im Kreis ihrer Familie, fotografiert.

Auch für die heutige Ausstellung konnte der Fotograf das Umfeld, also, sowohl den Arbeitsplatz als auch die Situation hinter oder auf der Bühne der Portraitierten mit aufnehmen, denn unser Umfeld prägt uns. Es gehört zur Situierung, es charakterisiert die Menschen und hilft uns bei der Einordnung unseres Gegenübers. Für Uwe Brodmann ist die Identität der Person mit ihrem sozialen und architektonischen Umfeld von Bedeutung. Es unterstützt das Bild, das wir uns von dem Protagonisten machen. Ebenso wie unsere Kleidung Ausdruck unserer Persönlichkeit ist.

Stefan Heims ist das jüngste Mitglied der esistso!company. Er arbeitet als Bürokraft in der Lebenshilfe. Eine Aufnahme Brodmanns zeigt ihn im LOT-Theater vor einer Wand. Sie sieht aus wie eine Schultafel. Konzentriert schaut Stefan uns an. Hinter seinem Kopf befinden sich Buchstaben, außerdem sind auf der Schultafel fremde Wesen aus Kreide zu sehen, wie Lebewesen von einem anderem Stern und leuchtende Kreidepunkte, die funkeln wie Sterne. Stefan Heims strahlt Verlässlichkeit und Ruhe aus nicht nur in der esistso!company, sondern auch an seinem Arbeitsplatz.

Sebastian Koenders sieht man glücklich in seiner Arbeitskleidung in einem Beet hockend, aus dem er augenscheinlich Unkraut entfernt. Die Arbeit als Gärtner macht Sebastian glücklich. Er ist gerne in der Natur und im Freien.

Beim Betrachten der Bilder hat man nicht das Gefühl ein Voyeur zu sein, weil Uwe Brodmann mit den Protagonisten ein Bild für den Betrachter entworfen hat, ein Bild, mit dem auch der Fotografierte einverstanden ist, wie viel er von sich preisgibt. Brodmann hat dies mit sehr viel Einfühlungsvermögen umgesetzt. Je länger man die Bilder betrachtet, desto aufmerksamer wird man und es wird eine Neugier geweckt, sich mit den Biographien der Portraitierten auseinander zu setzen.

Gabriele Daskiewicz hat durch die Kampagne »Braunschweig bewegt« der Lebenshilfe in Zusammenarbeit mit Braunschweiger Firmen einen Arbeitsplatz in dem Traditionsunternehmen Seilflechter gefunden. Sie ist eine von 80 Männer und Frauen der Lebenshilfe, die in einem Unternehmen der freien Wirtschaft tätig ist.

Kathrin Schrader ist Reinigungskraft. Ihre vordringlichste Aufgabe ist es jeden Morgen, das Restaurant der Lebenshilfe in der Kaiserstraße sauber zu machen.

Stefan Bogdoll ist in der Holzmontage tätig. Für das Theaterstück im Mai werden Spiegel gebraucht, Stefan hat diese Spiegel aus Isolierfolie und Holzrahmen so gebaut, dass sie für ihn und seine Kollegen beim Tanzen gut händelbar sind.

Petra Pressel gehört ebenfalls zur esistso!company. Wir sehen sie einmal in den Räumen der Lebenshilfe mit der Energie geladenen Linda, die auf dem Sprung zu sein scheint, auf einem Bild. Petra dagegen strahlt Ruhe aus. Diese benötigt sie an ihrem Arbeitsplatz. Diesen zeigt ein weiteres Panorama: Man sieht Petra im Reit- und Therapiezentrum Braunschweig, wo verantwortlich für die Pflege der Pferde ist. Glücklich holt sie ein Pferd aus der Box. Die Sonne scheint den beiden entgegen. Sie treten aus dem Dunkel der Box in das Licht.

Das Portrait – so wie es der Fotograf und Künstler Uwe Brodmann fertigt – ist immer eine künstlerische Darstellung eines Menschen mit allen seinen individuellen Merkmalen seines Aussehens und seines Charakters zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens.

Der formale Bruch – das Verlassen der klassischen Porträtaufnahme – macht diese noch besser sichtbar. Uwe Brodmann hat mit diesen Portraits eine sehr sensible ästhetische und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung geschaffen.

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